Gutes Sprechtempo beruht auf Gegenseitigkeit
Überhöhte Sprechgeschwindigkeit ist ein häufiges Thema, das Vortragende in ein Coaching mitbringen. Manchmal ist ihnen das Problem nur über die Rückmeldung von Gesprächspartnern bewusst; während sie sprechen, fällt es ihnen nicht, oder erst nach entsprechenden Hinweisen auf. Und haben sie bereits ein Gespür dafür, können sie sich oft dennoch nicht selbst bremsen.
Können Sie sich selbst überholen?
Das erhöhte Sprechtempo erzeugt Probleme auf verschiedenen Ebenen. Was die Interaktion betrifft, erfahren die Vortragenden relativ wenig von ihren Gesprächspartnern – sei es ein Publikum, eine Gruppe oder Einzelne; es gibt einfach wenig Raum dafür, das Gesagte „sacken zu lassen“ und daraufhin selbst Stellung zu nehmen oder nachzufragen. Die Zuhörer sind daher schneller überfordert und bauen, je nach Situation, Stress auf, wenn es ihnen aufgrund Status oder Situation nicht möglich ist, den Redefluss zu unterbrechen. Die Vortragenden selbst kommen geistig in Bedrängnis, weil sie, selbst wenn sie gewohnheitsmäßig schnell sprechen, dennoch ebenfalls rascher an ihre kognitiven Grenzen stoßen, da sie zu viele Alternativen im Kopf haben, mögliche Einwände der Zuhörer vorwegnehmen oder den Sachverhalt zunehmend detaillierter darstellen wollen. Zugleich sind sie immer weniger in der Lage, die tatsächlichen Reaktionen ihrer Zuhörer richtig einzuschätzen und laufen Gefahr, sich immer mehr in den eigenen, immer schneller voranpreschenden Gedanken zu verrennen.

Den Ball abgeben
Ich beschreibe die Übung zunächst als Partnerübung, dann als Solo-Variante.
- Nehmen Sie einen gut zu fangenden Ball in die Hand. Werfen Sie den Ball nach jedem Gedanken einem Ihrer Zuhörer zu. Ihr Zuhörer wirft Ihnen den Ball zurück. Erst jetzt dürfen Sie weitersprechen. Werfen Sie den Ball erneut nach Abschluss des nächsten Gedankens einem Ihrer Zuhörer zu. Erst, wenn Sie den Ball erneut in Händen haben, sprechen Sie weiter.
- Was gilt hierbei als „ein Gedanke“? – Das klärt sich in der Arbeit oft von selbst. Eine Begrüßung – bei mir im Norden etwa „Moin Moin“ – wäre zum Beispiel die erste Gelegenheit, den Ball abzuspielen. Routinemäßig wird über die Begrüßung oft hinweggeredet mit dem Ergebnis, dass die Begrüßten nicht einmal mit dem Kopf nicken können, um den Gruß zu erwidern. Ein Gruß ohne Möglichkeit der Erwiderung aber ist kein Gruß.
- Das „überhöhte Sprechtempo“ schien nur ein rein technisches Problem zu sein – es beinhaltet aber weit reichende inhaltliche sowie Beziehungsprobleme. Diese werden mit Hilfe des Balles aus der Tiefe aufgescheucht und können am jeweils konkreten Beispiel bearbeitet werden.
- Wenn Sie allein üben wählen Sie einen Ball, der gut springt und leicht ist – einen Tischtennisball zum Beispiel. Nun sprechen Sie zu Ihrem Spiegelbild in einer Fensterscheibe oder gegen eine Wand (in Wirklichkeit, nicht im Wortsinn). Der Ball springt zu Ihnen dann natürlich schneller zurück und es gilt nicht, Kontakt, zu einem tatsächlichen Zuhörer aufzubauen – aber immerhin.
Transfer
Der Transfer in den sprecherischen Alltag gelingt leichter, wenn Sie sich über die Unterschiede klarer werden, welche die Zusatzaufgabe erzwingt bzw. ermöglicht.
- Wie wirkt das Ball-Abgeben auf Ihre Atmung?
- Wir verändern sich Haltung und Stand?
- Wie wirkt das Ball-Abgeben auf Ihren Augenkontakt mit Ihren Zuhörern?
Erfahrungsgemäß lässt sich die Metapher des Ball-Abgebens recht gut in echte Interaktionen übertragen. Es lohnt sich allerdings, immer wieder mal mit einem echten Ball und mit echtem Partner zu üben, um die dabei auftauchenden Themen zu bearbeiten. Hierfür bedarf es möglicherweise auch zeitweise einer professionellen Begleitung.
Olaf Nollmeyer ist Autor und Trainer. Er unterrichtet und coacht seit 1994 Schauspieler, Sänger, Sprachheilpädagogen, Lehrer, Präsentatoren und Manager.